Wenn ein Jahr im Ausland verbracht wird, dann versäumt man zwangsläufig ein Schuljahr in Deutschland. Das ist dann meistens das erste Jahr der Oberstufe (Klasse 10 bei G8, Klasse 11 bei G9, E-Phase in Hessen).

Viele Eltern denken, die E-Phase ist nicht so wichtig, da passiert nicht viel und mit intensiver Nachhilfe in den Sommerferien bekommt man das hin. DAS IST FALSCH und unterschätzt die Lage dramatisch!

In der E-Phase  wurde schon immer abiturrelevanter Stoff behandelt, nach der Überarbeitung des Kerncurriculums im Jahr 2019 ist die E-Phase noch wichtiger geworden. Teile aus Q1 befinden sich nun in der E-Phase. Durch die Änderungen wird die Q1 im Fach Mathe etwas entlastet, dafür gewinnt die E-Phase an Wichtigkeit. Das zeigt sich auch am Mathebuch der E-Phase, es hat 120 Seiten mehr…

Normalerweise werden in der E-Phase bis zu den Herbstferien die Themen Lineare, quadratische und Potenzfunktionen wiederholt. Nach den Herbstferien beginnt der neue Stoff. Und da kommt bis zu den Sommerferien einiges zusammen!

Der Plan besteht häufig darin, das versäumte Jahr während der Sommerferien nachzuholen. Ich habe inzwischen sehr viel Erfahrung mit solchen Intensivkursen und kann sagen, das ist eine schlechte Idee.

Wenn ein Schüler vorher gut bis sehr gut war, dann gelingt dieses Vorhaben ganz passabel. War ein Schüler schon vorher nicht so gut in Mathe, bedeutet die versäumte E-Phase den Abstieg in diesem Fach. Es treten mehrere Probleme auf:

  • Nicht alle Themen können behandelt werden, die Sommerferien sind dafür viel zu kurz. Man startet zwangsläufig mit Lücken in die Oberstufe
  • Die Detailarbeit kann nicht gemacht werden. Man kann nicht alle möglichen Aufgabentypen und Fragestellungen bearbeiten. Es kann also sein, dass man auf unbekannte Fragestellungen trifft.
  • Das Wissen ist nicht verfestigt. Es wird schnell vergessen, durcheinander geworfen oder man ist sich unsicher, welche Rechnung zur gerade gestellten Aufgabe gehört.
  • Wer vorher schon schlechte Noten in Mathe hatte kann den Stoff zudem gar nicht in diesem Tempo aufnehmen. Als Lehrer bin ich also gezwungen abzubremsen. Das bedeutet für den Schüler noch mehr Lücken am Ende der Ferien.

Warum ist das so?

Die mathematischen Inhalte in der E-Phase werden zunehmend abstrakter. Es geht weniger darum, Rechnungen zu reproduzieren sondern darum, mathematische Inhalte zu verstehen und anzuwenden. Lösungen findet man oft nicht mehr in einem oder in zwei Schritten. Und man benötigt bestimmte Themen aus der Mittelstufe, die einfach sitzen müssen. Beispielsweise muss man verstanden haben, was eine Funktion ist und was sie macht. Schon damit haben viele Schüler Probleme.

Um mit dieser Art von Mathematik zurecht zu kommen, benötigt man Zeit und Übung. Die Zeit ist notwendig, weil sich im Gehirn mit der Zeit die Strukturen bilden, die durch das Lernen entstehen. Es ist klar, dass diese Strukturen nicht in 6 Wochen intensiv Nachhilfe aufgebaut werden können. Aus dem gleichen Grund ist es auch wenig sinnvoll, sich vor einer Klausur den gesamten Stoff „reinzuziehen“.

Ein anderer Grund ist die Menge des Stoffes. In 6 Wochen Sommerferien schafft man es nicht, diesen Stoff adäquat zu vermitteln und so einzuüben, dass er sicher sitzt. Spätestens in der dritten Ferienwoche lässt die Motivation nach. Wenn ich dennoch mit diesem Anliegen konfrontiert werde, reduziere ich den Stoff auf das Nötigste und lasse die Dinge weg, die erst später gebraucht werden. So kann man die Herbst- und Weihnachtsferien noch nutzen. Aber Ideal ist das auch nicht, schließlich will man in den Ferien auch mal zur Ruhe kommen! Diese Vorgehensweise führt dazu, dass man ständig unter Druck steht und getrieben ist.

Was ist die Lösung?

Aus meiner Sicht gibt es drei mögliche Lösungen:

  • Man lässt die Lücke erst gar nicht entstehen, in dem man jede Woche eine online Stunde Mathe nimmt, während man im Ausland ist. In dieser Stunde behandelt man den Stoff der deutschen E-Phase. Wenn man zurück kommt ist man meistens fitter als die Schüler, die das Jahr hier gemacht haben.
  • Man macht nach den Ferien einen Crashkurs und lebt dann mit dem Stress und der Tatsache, dass man wahrscheinlich Noten unterhalb der eigenen Fähigkeiten bekommt.
  • Man steigt nach dem Auslandsjahr in die E-Phase ein und nicht in die Q-Phase.

Ich spreche hier nur für das Fach Mathematik. Erfahrungsgemäß schaffen die Schüler den Einstieg in die anderen Fächer ganz gut. Die Naturwissenschaften (Biologie, Chemie und Physik) sind noch als Problemfächer zu nennen, aber hier kann man sich durch Abwahl der Fächer aus der Affäre ziehen.